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. . . Godber Nissen 1906 - 1997. Godber Nissen 1906 - 1997

Portrait Godber Nissen

Geboren am 24.6.1906 in Wladiwostok

1925 - 31 Studium an der TH Dresden und TH Berlin
1931 Gründung des eigenen Architekturbüros in Berlin
1946 - 53
Arbeitsgemeinschaft mit Carl-Friedrich Fischer in Hamburg
1954 - 65 Mitglied der Kommission für den Wiederaufbau Helgolands
1955 - 71 Professor für Gebäudelehre an der HfbK Hamburg
1979 - 95 Büropartnerschaft mit Hartmann Schlutz und Peter Martinius

Gestorben am 25.12.1997 in Hamburg

 

 


Godber Nissen wird 1906 als Sohn eines aus Heide stammenden Kaufmanns im ostsibirischen Wladiwostok geboren. Infolge der Oktoberrevolution wird die Familie vorübergehend interniert und verläßt 1919 Rußland gen Hamburg, wo Nissens Vater seine Lehrjahre verbracht hat. Dort macht Godber Nissen 1925 sein Abitur und beginnt noch im gleichen Jahr ein Architekurstudium an der TH Dresden. Nach dem Vordiplom absolviert er Praktika in Hamburgs Nachbarstadt Altona, wo er bei Karl Schneider und dem Bausenator Gustav Oelsner arbeitet, den beiden wichtigsten Protagonisten des Neuen Bauens im Hamburger Raum. Außerdem wird Nissen erster Mitarbeiter im neugegründeten Büro von Werner Kallmorgen, den er von der gemeinsamen Arbeit bei Oelsner kennt. Sein Studium setzt Nissen an der TH Berlin fort, wo Heinrich Tessenow für ihn zur entscheidenden Lehrpersönlichkeit wird. Insbesondere mit der Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Nutzer und den Respekt vor den Bedingungen des Ortes prägt Tessenow seinen Schüler nachhaltig. Weniger modernistische Attitüden als vielmehr das Streben nach einer humaneren Umweltgestaltung sind die Kriterien, die der in der weiten Naturlandschaft Sibiriens aufgewachsene Nissen von Tessenow übernimmt.

Mitten in der Weltwirtschaftskrise wagt Nissen nach seinem Diplom 1931 den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnet in Berlin ein eigenes Architekturbüro. Erste Aufträge erhält er von der Reemtsma-Zigarettenfabrik, für die er über mehrere Jahre den Umbau der Werksanlagen an der Rungestraße in Berlin sowie deutschlandweit die Umgestaltung von Auslieferungslagern betreut. Daneben ist er auch mit dem Umbau und der Aufteilung großer Wohnungen in kleinere Wohneinheiten sowie dem Neubau einiger Einfamilienhäuser im Westen Berlins tätig. Obwohl es sich dabei zumeist um Bauten für großbürgerliche Familien handelt, bleiben Nissens Wohnhausentwürfe mit ihrer knappen Körperlichkeit und der strengen, schlichten Gestaltung dem Tessenow'schen Prinzip einer einfachen Architektur treu. Ab 1937 erschließen sich für Nissen mit der unter nationalsozialistischer Herrschaft forcierten Wiederaufrüstung schließlich neue Aufgabenfelder, als er über persönlichen Kontakt mit dem ehemaligen Jagdflieger Hermann Kastner den Bauauftrag für Fabrikanlagen der Pommerschen Motorenwerke in Arnimswalde erhält.

Die Rüstungsbauten, die Nissen vor und während des 2. Weltkriegs ausführt, tragen mit ihrer sparsamen, konstruktiv geprägten Bauweise den Bedingungen des Luftschutzes und der Baumaterialkontingentierung Rechnung. Dabei verleihen gerade die an den Werkhallen verwendeten Betonschalen, als materialsparende Bauweise von der Firma Dyckerhoff & Widmann entwickelt, mit ihrer seriellen Erscheinung den Bauten ein modernistisches Erscheinungsbild, während andere Werksteile als auch die zugehörigen Arbeiterwohnhäuser eine deutlich traditionellere Gestaltung erfahren. 1940 wird Nissens Büro dem Baustab von Albert Speer unterstellt und zwei Jahre später in die Organisation Todt eingegliedert, womit seine Arbeit als kriegswichtig eingestuft wird und Nissen wie seine Mitarbeiter dadurch vom Kriegsdienst verschont bleiben. Damit gelingt Nissen wie zahlreichen Kollegen seiner Generation eine Zuflucht in den Industriebau, wie Rudolf Lodders es nach Kriegsende formuliert. Dabei handelt es sich allerdings eher um das Vermeiden einer Involvierung in das Kriegsgeschehen als um die Flucht vor einer architektonischen Inanspruchnahme durch das nationalsozialistische Regime, wie es in der Nachkriegszeit teilweise dargestellt wird.

Bei Kriegsende flüchtet Nissen vor der Roten Armee in den Westen Deutschlands und geht nach Hamburg, wo er anfangs bei seinem Freund Werner Kallmorgen unterkommt. Hier wagt er den beruflichen Neuanfang und eröffnet wieder ein Architekturbüro, das er ab 1946 in Arbeitsgemeinschaft mit seinem früheren Studienkollegen Carl-Friedrich Fischer betreibt. Vom neugegründeten Hamburger BDA wird Nissen, der politisch als unbelastet gilt, als Verbindungsmann zwischen britischer Militärregierung und der neuen Zivilverwaltung vorgeschlagen. Dadurch erhält er bereits kurz nach Kriegsende Aufträge für den Bau mehrerer "Brücke"-Institute, deutsch-englischer Kulturinstitute, die im gesamten britischen Besatzungsgebiet eingerichtet werden. Auch durch erneute Aufträge für die Reemtsma-Werke, vor allem der Erweiterung des ehemaligen Wohnhauses von Philipp Reemtsma zur neuen Hauptverwaltung des Zigarettenkonzerns, kann sich Nissen in der Nachkriegszeit in Hamburg als Architekt etablieren. Seine Bauten zeichnen sich durch Einflüsse der skandinavischen Architektur aus, die, geprägt von Kay Fisker, Arne Jacobsen oder Erik Gunnar Asplund, zum Vorbild der Nachkriegsarchitektur in Norddeutschland wird. Als Mitglied des Technischen Kommission für den Wiederaufbau Helgolands, deren Leitung er nach dem Tod Otto Bartnings 1959 übernimmt, kann Nissen auch die architektonische Gestaltung der Insel im Sinne dieser moderaten, an regionalen wie klimatisch bedingten Formen orientierten Moderne, nachhaltig prägen.

1955 wird Godber Nissen als Professor für Gebäudelehre und Konstruktion an die Hamburger Hochschule für Bildende Künste berufen. Gemeinsam mit Fritz Trautwein, Paul Schneider-Esleben oder Werner Hebebrand baut Nissen dort die Architekturlehre zum eigenständigen Studiengang aus, der auf einem von ihm entwickelten Curriculum beruht. Seine Lehrtätigkeit zeichnet sich durch Strenge und Exaktheit in den technisch-konstruktiven Aspekten aus, neben der aber auch die Schulung des Gefühls für Proportionen und Raumzusammenhänge im Vordergrund steht. Die von ihm vermittelte Funktionslehre kann Nissen dabei in zahlreichen Krankenhausbauten umsetzen, die er gemeinsam mit Konstanty Gutschow ausführt. Während Gutschow vor allem für städtebauliche und organisatorische Fragen verantwortlich zeichnet, ist Nissen für die architektonische Gestaltung der Bauten zuständig. Mit der baukörperlichen Gliederung in Bettenhäuser und Behandlungsflachtrakte wirken ihre Bauten vorbildhaft für den deutschen Krankenhausbau. Nissens Bestrebungen gelten dabei wesentlich der Schaffung einer menschlichen Atmosphäre, etwa durch niedrige, Ausblick ermöglichende Fensterbrüstungen, als Kontrapunkt zu der modernen Apparatemedizin. Bis zum Ausscheiden aus der 1979 mit Peter Martinius und Hartmann Schlutz gebildeten Büropartnerschaft 1995 bleibt der Krankenhausbau ein Schwerpunkt in Nissens Werk.

Im Alter von 91 Jahren stirbt Godber Nissen in Hamburg. Seine Architektur zeichnet sich nicht durch eine gerade in der Nachkriegszeit dominante Tendenz zu Leichtigkeit und Filigranität aus, sondern vielmehr durch eine materialgerechte, dauerhaft wirkende und mit natürlichen Baustoffen arbeitende Ästhetik. Diese basiert auf Nissens, von seinem Lehrer Tessenow geprägten Verständnis vom Bauen als etwas dem Menschen Dienendes, nach dem Architektur weit mehr als künstlerischer Selbstzweck ist..


Mai 2006

Literatur:

Carl-Friedrich Fischer: Zum Tode von Godber Nissen
In: Der Architekt 3/1998, S. 143

Hartmut Frank: Inseln am Großen Strom: Der Architekt Godber Nissen
In: Architektur in Hamburg Jahrbuch 1991, S. 120-127

Hartmut Frank, Ullrich Schwarz: Godber Nissen. Ein Meister der Nachkriegsmoderne
Hamburg 1995

Jan Lubitz: Zum 100. Geburtstag von Godber Nissen
In: Deutsches Architektenblatt 8/2006, Regionalteil Hamburg, S. 7-8

Haus Beyer. Berlin 1938
. .Haus Beyer
. .Berlin 1938
Pommersche Flugmotorenwerke. Arnimswalde 1937-40
. .Pommersche Flugmotorenwerke
. .Arnimswalde 1937-40
Gloria-Kino. Kiel 1951-52
. .Gloria-Kino
. .Kiel 1951-52
Reemtsma-Hauptverwaltung. Hamburg 1952-54
. .Reemtsma-Hauptverwaltung
. .Hamburg 1952-54
Chirurgische Klinik. Düsseldorf 1954-58
. .Chirurgische Klinik
. .Düsseldorf 1954-58
Geschäftshäuser Neuer Wall. Hamburg 1954-59
. .Geschäftshäuser Neuer Wall
. .Hamburg 1954-59
Deutsche Botschaft. Stockholm / S 1958-60
. .Deutsche Botschaft
. .Stockholm / S 1958-60
BAT-Musikstudentenwohnheim. Hamburg 1967
. .BAT-Musikstudentenwohnheim
. .Hamburg 1967
Medizinische Hochschule. Hannover 1961-72
. .Medizinische Hochschule
. .Hannover 1961-72
Institut für Allgemeine Botanik. Hamburg 1978-82
. .Institut für Allgemeine Botanik
. .Hamburg 1978-82